Gewunden und steil ist die alte Straße
Wie viele Wagen hier wohl gefahren sind?
Hurra! Ich habe sie gefunden. Es war ganz leicht – viel leichter als ich dachte: Die alte Straße hinunter zur Ammer, über die viele Jahrhunderte lang alle Fuhrwerke und die ersten Autos rumpeln mussten, ist ganz einfach aufzuspüren. Sie ist jetzt ein Feldweg- ganz einfach da, fällt steil ab zum Fluss und ist ganz bequem im Spazierschritt zu erwandern.
Und wenn ich’s nicht wüsste, ich würd’ es glatt übersehen: Dieser unscheinbare Weg, der gleich hinter dem letzten Haus des Weilers beginnt, ist sozusagen ein Superlativ in einer an Superlativen reichen Umgebung.
Denn: Diese Straße verband die beiden Seiten der Ammerschlucht. Jeder, der von Süden kam und in Richtung Norden wollte – und umgekehrt natürlich auch -, traf unweigerlich auf dieses imposante Hindernis: 75 Meter tief stürzt hier die Landschaft plötzlich in die Tiefe – die Schlucht ist wie eine mit mächtiger Axt in die lieblichen Hügel und Wiesen gehauene Scharte. Fast senkrecht fallen die Wände ab zum weit unten glitzernden Fluss.

75 Meter abwärts
Und diese Schlucht ist nicht nur ein Ärgernis, weil sie zwei Dörfer voneinander trennt und die Wege ihrer Bewohner seit Urzeiten beschwerlich und umständlich gemacht hat – nein: Diese Schlucht zerschneidet eine der wichtigsten historischen Handelsstraßen Deutschlands. Denn sie verband Brennerstraße und Via Claudia, war die Verbindung von Italien über den Brenner nach Augsburg und wurde wahrscheinlich schon von den Römern benutzt, ganz sicher aber von den Handeltreibenden im Mittelalter.
Und jetzt kommt mein kleiner Feldweg wieder ins Spiel, den ich gestern so leicht beim Dorf Echelsbach gefunden habe. Denn genau er war die Straße, auf der Waren und Menschen transportiert wurden, hinunter zur Ammer, dort über eine Furt und später über einen Holzsteg hinüber und auf der anderen Seite wieder bergauf.
Und – hier ist er, der Superlativ: Er war der einzige seiner Art, eine andere Möglichkeit, die Schlucht zu überwinden, gab es nicht.
Ich spaziere den steilen, engen, jetzt verlassen daliegenden Weg weiter in Richtung Fluss und versuche mir vorzustellen, welcher Trubel hier geherrscht haben muss!
Karren aller Art, beladen mit Waren und Schätzen, Kutschen, in denen Reisende unterwegs waren, Gefährte voller Holz, Gerätschaften und bestimmt auch Tiere – einfach alle quälten sich hier die 20 Prozent Gefälle herauf oder hinunter – bei Eis und Schnee und Regen, der noch heute den Hang hinunter rauscht und eine Gefahr für die Befestigung des Weges sein muss. – Warum sonst steige ich alle paar Meter über quer zum Weg verlegte Metallrinnen, deren hintere Enden über den steilen Hang ragen und aus denen das Wasser tropft.
Seit dem 16. Jahrhundert bestand die Straße mehr oder weniger unverändert und wahrscheinlich seit dieser Zeit – oder sogar schon früher, war die Straße – gerade weil sie so steil und unüberwindbar war – eine gute Einnahmequelle für die Leute aus Echelsbach und Rottenbuch. Denn sie machten sich die schwierige Situation zunutze: Vermieteten Ochsen – und Muskelkraft gegen gutes Geld. Es muss ein einträgliches Geschäft gewesen sein – denn was sollten die Fuhrleute schon machen, wenn ihr Gefährt die Steigung nicht schaffte oder bei Schneeglätte stecken blieb?
Jetzt bin ich da – ich trete heraus aus dem engen Weg, auf eine Wiese, die nur noch sanft zum Ufer hin abfällt. Im Sommer weiden hier Kühe – ich sehe es an den Zäunen, die jetzt allerdings teilweise abgebaut sind.
Fünf Tonnen soll die alte Holzbrücke getragen haben, über die man einst das andere Ufer erreichte. Ich glaube, dass das nicht gerade viel war, so dass sich hier unten sicherlich Staus bildeten.
Auf einem Bild, das ich bei der kleinen Gaststätte „Zur Ammerschlucht“ abfotografieren darf, ist die alte Brücke abgebildet – dazu ein Haus, das seit langem nicht mehr steht.

Immerhin entdecke ich auf der anderen Flussseite Ziegelsteine, die unterhalb von einer Hütte im Hochufer stecken – und meine Phantasie möchte nur zu gerne glauben, dass diese Steine die allerletzten Zeugen der Brücke sind, die hier über so viele Jahrhunderte so wichtig war.
Ende des Jahres 1929 verloren Straße und Brücke ihre Bedeutung – und die Bewohner ihre Einnahmequelle. Es brach eine neue Zeit an: Die Echelsbacher Brücke war fertig. Noch heute überspannt sie die atemberaubende Schlucht und ist selbst ein atemberaubender Anblick.
Und genau deshalb hört hier jetzt mein Beitrag auf. Es gibt später einen neuen, extra nur für sie!