Rot, betupft, winzig, im Ruhezustand rundlich und platt und wenn er fliegt – ein bisschen wie ein roter Lamborghini mit hochgeklappten Türen: So sieht er aus, der kleine Marienkäfer. Und bisher fand ich ihn einfach nur süß, freute mich, wenn er mich mal anflog und zählte geduldig Punkte auf seinem Rücken. Als Kinder sagten wir, dass jeder Punkt ein Jahr Glück bedeutet. Ob das stimmt? Ganz ehrlich: Nachgeprüft habe ich das noch nicht. Bis heute heute hoffte ich jedoch inständig, dass es wahr ist.
Bis heute. Denn heute habe ich so viele glückliche Jahre geschenkt bekommen, dass es nicht zum Aushalten ist. Es geschah an einem Waldrand bei Egenhofen: Ahnungslos spazierten wir so vor uns hin (mein Hund und ich) und plötzlich: Geschwirr von rechts und von links, von vorne und von hinten. Marienkäfer zu tausenden! Flugs saßen sie in Gruppen auf meiner Hose, auf den Ärmeln der Jacke, auf meinem Kopf, im Gesicht, tappten da so herum, und hielten Mittagssonnenplausch miteinander.
Ich – stocksteif die Arme von mir weghaltend, um keins der Tierchen zu zerquetschen oder anderswie zu verletzen – kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Es war ein Kommen und Gehen: Kaum machte sich ein Käferchen davon, landete das nächste, das übernächste brachte das überübernächste mit, so dass ich bald Marienkäferfamilientreffpunkt war. Natürlich dachte ich sofort an all das Glück und konnte dasselbe kaum fassen. Doch nach einer Weile beschlichen mich die ersten Zweifel. Was soll ich sagen? Ich schlich mich weg. Flüchtete. Schüttelte die kleinen Käferchen ab und machte mich davon. Und dann? Dann kam ich zum Auto zurück. Und was war da? Richtig! Marienkäferchen. Viele, viele krabbelten darauf herum, sonnten und spiegelten sich in seinem Lack, schlüpften in Gummidichtungen und winzige Lüftungsschlitze. Die Zweifel nahmen zu: Ob das sein Leben nun wirklich länger und auch glücklicher macht?
Naja. Ich schaffte es natürlich nicht, marienkäferfrei mein glückliches Auto zu besteigen. Am Ende saßen ein paar verirrte Familienmitglieder innen an der Scheibe, am Armaturenbrett – und auf dem Beifahrersitz hatte es sich gleich eine ganze Rotte (Jugendlicher?) bequem gemacht.
Neben ihnen saß mittlerweile mein Misstrauen. Und als ich schließlich zuhause alle (?) Käferchen aus meinem Auto in die Freiheit scheuchte, war mein Glücksgefühl schon einer leichten Panik gewichen. Was, bitte schön, soll ich mit so vielen Jahren? Kann irgendjemand sich vorstellen, wie das ist, zu fünfhundert Jahren verdonnert zu werden oder sogar zu mehr? Und glücklich noch dazu? Kein Fitzelchen Unglück und Traurigkeit, keine miesen Erfahrungen, niemals schlechte Laune oder wenigstens ein klein wenig Melancholie?
Vor einer halben Stunde fand ich dann das letzte Glücksbringerchen. Es hatte sich unter meinen Pulli geschlichen, sich ganz still verhalten und erst jetzt krabbelfüßig bemerkbar gemacht. Kurz habe ich überlegt, ob ich ein Foto machen soll. Aber ich habe es gelassen. Ich habe die Augen zugemacht und es schnellstens im Garten ausgesetzt. Nein, ich wollte wirklich nicht wissen, wie viele glückliche Jahre noch zu den anderen hinzu gekommen sind!
Bloggerinnenhilferuf *Räusper*: Glücksjahre zu verschenken. Bei Interesse bitte melden!